25 Jahre Jugendclub CaT
Angefangen hat es mitten im "Ghetto", wie das Neubauviertel Hohenstücken damals bezeichnet wurde, mit Redemptoristenpater Winfried und einem Bauwagen, erinnert sich Annett Kießig. Im Interview erzählen die Caritas-Beauftragte für die Stadt Brandenburg an der Havel und Jugendclub-Leiterin Cécile Anette Templin, wie sich die Caritas-Jugendarbeit in ihrer Stadt entwickelt hat.
Am 21. April feiern Sie mit einem Frühlingsfest das 25. Bestehen des CaT. Zum Geburtstag darf man sich was wünschen...
Kießig: Wir haben über die Jahre immer gekämpft, dass es den Jugendclub überhaupt gibt. Von Anfang an stand immer wieder die Schließung im Raum, weil gerade wieder keine Gelder da waren. Wünschenswert wäre, dass Mittel für die Jugendarbeit immer beständig sind. Wir sind der Meinung, dass es ganz viele Orte für Kinder und Jugendliche geben muss. Deshalb ist einfach unser Wunsch, dass es immer solche Jugendeinrichtungen wie den CaT gibt. Selbstverständlich ist das nämlich nicht.
Frau Kießig, Sie haben die Anfänge miterlebt. Aus welcher Motivation heraus ist der Jugendclub damals gestartet?
Kießig: 1991 kamen vier Redemptoristenpater zu uns, weil sie für ihr Engagement eine Stadt mit Bedarf gesucht haben. Brandenburg an der Havel war eine Arbeiterstadt, es herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit. Die vier sind mitten in den sozialen Brennpunkt gezogen, nach Hohenstücken. Das war eine Plattenbausiedlung, auch Ghetto genannt, mit 30.000 Einwohnern. Drei der Patres kümmerten sich um Randbereiche wie Gefängnisseelsorge und Asylbewerber. Der Jüngste, Pater Winfried, engagierte sich in der Jugendarbeit, konkret mit Streetwork. Er war locker gekleidet, ging auf Jugendliche direkt und offen zu, stellte sich einfach zu den Gruppen, redete mit und nahm jeden Einzelnen ernst. Er fragte, was die Jugendlichen bräuchten und sich wünschten und organisierte auch Freizeitfahrten. Als er 1992 hörte, dass die Zukunft des ehemaligen FDJ-Jugendclubs am Turm nicht klar war, sprach er bei der Caritas vor, um gemeinsam einen neuen Jugendclub aufzubauen. 1993 haben wir den Zuschlag von der Stadt bekommen.
Vor welchen Herausforderungen haben Sie gestanden?
Kießig: Das war einfach was ganz Neues. Caritas war hier kaum bekannt, schon gar nicht im Bereich der Jugendarbeit. Da kam uns einiges an Misstrauen entgegen. Manche Eltern fragten uns "Wollt ihr unsere Kinder missionieren?". Außerdem gab es ständig Konflikte zwischen rechts und links geprägten Jugendlichen.
Wie haben Sie die Akzeptanz erreicht?
Kießig: Pater Winfried war mit mir im Rahmen unseres Streetworkprojektes unterwegs. Es war nicht einfach, das Vertrauen aufzubauen. Denn Streetwork war zu dieser Zeit unbekannt und manche hinterfragten kritisch seine Absichten. Ich bin dann als Frau dazugekommen, und habe mehr die Mädchenarbeit im Blick gehabt. Es war eine längere Beziehungsaufbauarbeit nötig, bis Eltern und Jugendliche verstanden, dass wir es ehrlich gemeint haben und ein echtes Interesse hatten, etwas für sie zu tun - unabhängig von Religion. Pater Winfried war außerdem so mutig, rechts- und linksorientierte Jugendliche miteinander zu konfrontieren - er wollte ein Gespräch vermitteln, hat dabei aber schon einmal einen auf die Nase bekommen. Doch er hat nie aufgegeben, sein Geheimrezept schien seine Beharrlichkeit zu sein. Wirklich schwierig war es mit den Jugendlichen im ehemaligen FDJ-Jugendclub. Diese Clique war schon älter - zwischen 18 und 20 Jahre alt. Sie wollten da zunächst niemanden reinlassen. Das war ein ziemlicher Kampf. Sehr geduldig, mit vielen Gesprächen haben wir es geschafft, dass das ein Ort für alle wurde - der Club Am Turm. Alter, Herkunft und Weltanschauung spielten hier keine Rolle und so wurde er schließlich auch angenommen.
In wiefern hat sich der Jugendclub in den vergangenen 25 Jahren entwickelt?
Kießig: Zunächst war es ein sehr niedrigschwelliges Angebot, das vor allem auf die Defizite fokussiert war. Jeder durfte erstmal reinkommen, egal mit welchen Sorgen und Nöten. Es stand immer ein Ansprechpartner bereit. Große Themen nach der Wende waren Drogen, Alkohol und Gewalt. Und es gab schon immer klare Regeln, die wir gemeinsam mit den Jugendlichen aufgestellt haben. Es ging immer darum, selbst Verantwortung zu übernehmen - für ihren Bereich und den Club. Das funktioniert bis heute sehr gut: Selbst gestalten lassen und Ideen einbringen. So erreicht man die Jugendlichen.
Unter welchen Gesichtspunkten haben Sie die Angebote noch weiterentwickelt?
Templin: Wir hatten zunächst in Sichtweite einen Jugendclub vom Humanistischen Verband. Deshalb haben wir ein eigenes Profil erarbeitet, in dem wir uns auf die älteren, "schwierigeren" Personen konzentriert haben und zum Beispiel bei der Jobsuche geholfen haben. Als 2008 in der Stadt die Schulsozialarbeit erweitert werden sollte, haben wir als Caritas den Zuschlag für die erste Oberschule bekommen. 2009 kamen zwei Grundschulen dazu, dann noch zwei Grundschulen, 2016 zwei Gymnasium, mittlerweile noch ein Hort und das OSZ - das war eine explosionsartige Entwicklung, durch die wir jetzt sehr viele Altersklassen abdecken.
Ende 2012 hat der CaT Hohenstücken verlassen, da es nur noch einen Jugendclub in diesem Stadtteil geben konnte. Wie hat sich Ihre Arbeit durch den Umzug verändert?
Kießig: Wir können hier projektbezogener und nachhaltiger arbeiten.
Templin: Es bestehen unglaublich viele Kooperationen mit den Schulen der Stadt. Die können zum Beispiel ihre Projekttage in unserer Holzwerkstatt machen. Unsere Schulsozialarbeiter bieten Projekte wie die "Streitschlichter" an. Wir sind da sehr gut vernetzt. Außerdem sind wir JIM-Standort - Jugendinformations- und Medienzentrum.
Was sind das für Jugendliche, die heute zu Ihnen kommen?
Templin: Wir haben ein breites Feld von Besuchern, von Straßenkindern bis hin zu Gymnasiasten. Hier werden alle gleich behandelt, ernst genommen und es gelten für alle die gleichen Regeln. Und das macht es auch aus, dass sich die Kinder und Jugendlichen wohl fühlen.
Ist durch den Besuch der Straßenkinder die Idee für den Kindermittagstisch entstanden?
Templin: Es sind nicht nur die Straßenkinder, die normalerweise keine warme Mahlzeit am Tag bekommen. Als wir das erste Mal gekocht hatten, sagte eine Junge: "Igitt, das Essen ist ja warm!" Er erzählte mir dann, dass er sonst nur Cornflakes oder ähnliches mittags isst. Aber mein ausschlaggebendes Erlebnis dazu war eigentlich, dass ich mit Kindern unterwegs zum Reiten war. Für die Pferde hatte ich Äpfel und Brötchen gekauft. Im Bus merkte ich, wie zwei Kinder immer dahin guckten. Als ich gefragt habe, ob sie einen Apfel essen wollen, nickten sie. Das hat mich überrascht, weil von Jugendlichen die Äpfel eher mal weggeschmissen werden. Es war vier Uhr nachmittags. Da habe ich sie gefragt, ob sie noch nichts gegessen hätten. "Nö", war die Antwort. Das hat mich total geschockt.
Was unterscheidet den heutigen CaT von damals?
Templin: Mittlerweile haben wir einfach mehr und passendere Instrumente, um die Leute einbinden und fördern zu können als früher bei der klassischen Jugendarbeit. Wir beraten inzwischen auch unter Einbeziehung anderer Caritas-Dienste wie der Erziehungsberatung oder Suchtberatung. Entscheidend ist, dass wir die Jugendlichen wirklich an allen Orten erwischen. Wenn sie im Sommer lieber an der Havel sitzen, statt bei uns, dann können wir durch aufsuchende Arbeit die Jugendlichen an Ort und Stelle besuchen.
Kießig: Unser Jugendclub ist heute ein Ort, um sich auszuprobieren, Ideen einzubringen und zu versuchen, sie umzusetzen - miteinander. Wo können das Jugendliche heutzutage? Beziehungsarbeit ist dabei genau wie 1993 immer noch das A und O.
Interview: Christina Bustorf