"Caritas in Nauen: 26 Jahre Hand in Hand gegen die Sucht"
Das langjährige Know-How der Nauener Caritas ist auch beim dortigen Jugendamt gefragt. Der öffentliche Jugendhilfeträger klopfte bei der Caritas an und bat um Unterstützung beim Aufbau der Jugendsuchtberatung in der brandenburgischen Stadt. Wir fragen nach dem Erfolgsrezept der Nauener Caritas. Unsere Gesprächspartnerinnen sind Birgit Barthels, Caritas-Beauftragte für die Landkreise Havelland und Oberhavel und Annett Bathke, die bei der Caritas in Nauen ambulante Rehabilitation anbietet. Außerdem kommt der Caritas-Schuldnerberater Christian Galanski zu Wort. Er erzählt, wie die Suchtberatung mit anderen Caritas-Diensten Hand in Hand arbeitet.
Die Suchtberatung in Nauen hat eine besondere Tradition - das erste Caritas-Angebot vor Ort wurde offiziell gleich nach der Wende aufgebaut, im Jahr 1990. Können Sie berichten, wie das ablief und welche Rolle der damalige so genannte "Dekanatsfürsorger" Heinz Nowak dabei spielte?
Galanski: Schon zu DDR-Zeiten war bekannt, dass in Nauen relativ viel getrunken wird. Nauen stand immer im Schatten anderer Städte. In unmittelbarer Nähe von Berlin und Potsdam führte Nauen so etwas wie ein Nischendasein. Die Stadt wurde vergessen, weil es hier kaum Industrie gibt. Viele sozial Schwache haben sich schon zu DDR-Zeiten hier angesiedelt. Heinz Nowak, der aus der Region kommt und schon vor dem Mauerfall als Sozialarbeiter der Caritas in Nauen aktiv war, hat früh erkannt, dass die Suchtmittelabhängigkeit einen Schwerpunkt der sozialen Arbeit vor Ort bilden muss.
Birgit Barthels ist seit 2016 Beauftragte für die Landkreise Havelland und Oberhavel Walter Wetzler
Barthels: Nowak ist dann in zähe Verhandlungen mit Kommune und Landkreis gegangen, bis er sein Ziel erreicht hatte. Leicht war das nicht, da die katholische Caritas vor der Wende ja nur im Stillen arbeiten konnte und sich in der postsozialistischen Zeit ihre Stellung erst erkämpfen musste. Am 19. November 1990, dem Gedenktag der Hl. Elisabeth von Thüringen, die ja die Schutzpatronin der Caritas ist, wurde dann die erste Suchtberatungsstelle der Caritas in der Holzmarktstr. 8 in Nauen gegründet. Sie hieß zu Anfang "Beratungsstelle für Alkohol- und Medikamentenabhängige". Das war die Grundsteinlegung und Heinz Nowak ist so etwas wie der Vater der Caritas in Nauen.
Was hat sich in Nauen speziell in Hinblick auf Suchtkranke in den letzten Jahrzehnten verändert?
Barthels: Leider nicht so viel, wenn man Veränderung im Sinne von Verbesserung sieht. Es gibt immer noch zahlreiche Alkoholkranke, vielleicht sogar noch mehr als früher. Viele Menschen sind in schwierigen Lebenslagen, aus denen sie nicht allein heraus kommen.
Bathke: Der Schwerpunkt liegt nach wie vor im ländlichen Raum beim Alkohol, obwohl jetzt auch andere Drogen dazu kommen - Cannabis wird für die Jugendlichen häufig zum Problem. Unsere Klientenzahlen bewegen sich immer auf einem hohen Niveau, leider, muss ich da sagen. Man muss sich dazu noch klar machen, dass wir von allen nur einen Teil der Betroffenen erreichen. Nämlich die, die ihren ganzen Mut zusammen nehmen und in unsere Beratungsstelle kommen.
Die Jugendsuchtberatung existiert erst seit 2015 - sie ist wie eine "kleine Schwester" der "großen Suchtberatungsstelle" in Nauen. Wie ist dieses Angebot entstanden?
Barthels: Das Jugendamt des Landkreis Havelland kam auf uns zu, weil wir viel Erfahrung in der Suchtberatung haben. Sie haben uns gefragt, ob wir nicht etwas für die jüngere Zielgruppe aufbauen würden. Anett Kießig, meine Vorgängerin, hat sofort reagiert und zugesagt, ein Konzept zu schreiben. Das Jugendamt hat uns anlässlich unserer 25-Jahre Jubiläumsfeier 2016 dann eine Zusage gegeben, die Jugendsuchtberatung weiter zu finanzieren und andere Standorte in der Region möglich zu machen. Darüber freuen wir uns sehr.
Annett Bathke kam Ende 2000 zur CaritasWalter Wetzler
Bathke: Natürlich haben wir uns in der Vergangenheit auch schon um die Jüngeren gekümmert. Ein Viertel der Menschen im Landkreis, die zu uns kamen, waren unter 21 Jahren alt. Mit dem neuen Angebot können wir aber noch mehr Jugendliche erreichen, was auch sehr wichtig ist. Je früher Suchtprobleme angegangen werden, desto besser.
Was ist das Erfolgsrezept der Caritas in Nauen? Es ist in Berlin kaum vorstellbar, dass das Jugendamt quasi wie von allein eine Finanzierung anbietet.
Barthels: Wir sind eben nicht erst seit gestern da. Wir sind ein Teil dieser Region. Es gibt jahrzehntelang aufgebaute Arbeitsbeziehungen, die auf Vertrauen in unsere Fachlichkeit und auf guten Erfahrungen miteinander basieren. Das macht manches einfacher. Von Anfang an waren wir für die Menschen hier da und haben deren Nöte in den Mittelpunkt gestellt. Das sehen natürlich auch die Kollegen und die Verantwortlichen im Landkreis, in der Kommune und bei unseren Kooperationspartnern. Man arbeitet einfach ganz anders zusammen, wenn man sich schon so lang kennt. Und wir gelten als verlässlich.
Galanski: Wir Caritas-Kolleginnen und Kollegen sitzen alle Tür an Tür in einer Dienststelle, also die Schuldnerberatung und die Suchtberatung. Viele Leute bekommen ja nicht ohne Grund Suchtprobleme. Manch einer versucht sich existentielle Probleme "wegzutrinken". Das klappt aber nicht. Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse führen bei vielen zu Schulden, die dann wieder Suchtgefahren mit sich bringen. Da komme ich ins Spiel. Der Schuldenabbau trägt naturgemäß erheblich zur Verbesserung der Lebenssituation bei. Wir ergänzen uns hier kollegial schnell und unkompliziert und unterstützen die Hilfesuchenden mit ineinander greifenden Angeboten.
Bathke: Einige Kolleginnen haben auch zwei Stellenanteile in unterschiedlichen Bereichen, zum Beispiel arbeitet eine Kollegin in der Schulsozialarbeit, die wir inzwischen ja auch anbieten und zum anderen Teil in der Jugendsuchtberatung. Das "Schnittstellendenken" funktioniert wunderbar.
Christian Galanski gehört seit September 1991 zur Caritas in NauenWalter Wetzler
Galanski: Vor allem die Niedrigschwelligkeit finde ich wichtig. Wir wollen Menschen mit Problemen möglichst frühzeitig ansprechen, damit die Schwierigkeiten nicht zu groß werden. Die meisten warten ja viel zu lange, bevor sie Hilfe in Anspruch nehmen.
Bathke: Deswegen gibt es auch die Caritas-Contact-Cafés, in denen zunächst gar nicht die Beratung sondern die Begegnung und die zwanglose Kontaktaufnahme im Vordergrund stehen. Es ist hier alles ein bißchen lockerer, es geht hier um die Gemeinschaft, zum Beispiel beim gemeinsamen Essen oder Spielen. So trauen sich viele erst, ihr Herz auszuschütten.
Sie alle arbeiten seit über zehn Jahren, Christian Galanski seit 25 Jahren bei der Caritas. Was hat Sie motiviert, so lang dabei zu bleiben?
Galanski: Mich hat die Aufbauphase, in der sich die Caritas 1991 befand, sehr gereizt. Ich konnte damals berufsbegleitend noch ein Studium absolvieren. Dafür bin ich sehr dankbar. Heute motiviert es mich einfach immer wieder, mit den Menschen zusammen etwas zu verändern. Es ist eine große Belohnung, wenn man Leute wiedersieht, denen man helfen konnte.
Die Jubiläumsfeier anlässlich 25 Jahren Caritas in Nauen: Das Team besteht aktuell aus 14 Köpfen. Walter Wetzler
Barthels: Ich fand es toll, zurück zur Caritas zu kommen, denn beim ersten Mal von 2001 bis 2003 habe ich mich sehr wohl gefühlt und das Konzept für das Caritas-Contact-Cafés in Rathenow mitgeschrieben. Leider konnte ich damals nicht so lang bleiben wie erhofft, weil Landesmittel weggefallen waren. Nun sind wir Gott sei Dank einen großen Schritt weiter und sehen sehr hoffungsvoll in die Zukunft. Inzwischen sind wir ja auch in Falkensee und Rathenow mit unseren Angeboten präsent. Wir bleiben nicht stehen, sondern gehen dahin, wo die Menschen uns brauchen. Das macht mir viel Freude.
Bathke: Ich finde es immer schön, dass ich bei der Caritas die Möglichkeit habe, mich zu entwickeln, kreativ zu arbeiten und neue Projekte aufzubauen. So wie die Erlebnistherapie. Dieser Gestaltungsspielraum spornt mich an. Außerdem finde ich christliche Werte gerade in der heutigen Zeit wichtig.
Interview: Christina Kölpin
Zur Caritas-Website der Suchtberatungsangebote in Nauen